Das Ende der Michelle Stern
Dies ist eine
satirische Geschichte, in der Namen von real existierenden
Personen vorkommen. Es handelt sich bei diesen um von mir sehr
geschätzte Autoren und Persönlichkeiten aus der deutschen SF-
und Phantastik-Szene. Sollte irgendeine dieser Personen keine
namentliche Erwähnung wollen, bitte ich sie, sich mit mir in
Verbindung zu setzen. Selbstverständlich werde ich Namen und
Anspielung auf Wunsch entfernen.
Als ich am 08 Februar 2012 erwachte, war
eigentlich alles wie immer. Ein hochgewachsener blonder Mann stand
vor meinem Bett und sah mich erwartungsvoll an. Aha! Der übliche
Traum vor dem Aufwachen. Ich war also noch gar nicht wach. Die
Uniform des begehrenswerten Subjektes versprach einen aufregenden
Morgen. Allerdings verstörte mich der vorwurfsvolle Blick des
gutaussehenden Blonden. Normalerweise kam nun die Stelle, wo er mich
mit „Göttin“ und „Multiversale Herrscherin“ ansprach. Doch das
Gespinst meiner Träume verschränkte die Arme bockig vor der Brust.
„Michelle Stern?“
„Unter anderem“, sagte ich gähnend.
„Mitkommen.“
„Was?“ Während ich noch versuchte zu begreifen,
was auf einmal mit mir los war, und ob meine realistisch anmutenden
Träume behandlungswürdig waren oder nicht, packte mich der Mann am
Arm und zog mich in meinem hellblauen Snoopy Schlafanzug aus dem
Bett.
Ich taumelte an seiner Seite verstört in mein
Wohnzimmer, in dem ein grüner Lichtstrahl vor sich hin tanzte.
Da der blonde Mann eine Laserwaffe an der Seite
trug, verzichtete ich darauf das Stahlschwert von der Wand zu
reißen. Mir fiel auf, dass die Guppys im Aquarium gegrillt an der
Wasseroberfläche trieben, und von meinem Hamsterkäfig war auch nicht
mehr viel übrig. Dieser Traum wurde immer skurriler. Ich betrachtete
die muskulöse Gestalt von der Seite.
„Wissen Sie ... Sie sehen ein wenig aus wie ...
Maddrax!“
Der Mann verzog das Gesicht. „Blitzmerkerin,
was?“
Er zerrte mich in den Strahl. Farben
explodierten vor meinen Augen. In meinen Ohren surrte ein hoher Ton
und ich verspürte große Lust mich zu übergeben. Nein, das war gar
kein guter Traum mehr, das war böse und ich hatte jetzt keine
Lust mehr! Ich versuchte mit aller Gewalt aufzuwachen, was mir
üblicherweise auch gelang. Aber heute ... Tja ... heute klappte das
einfach nicht.
Statt dessen stand ich plötzlich an Maddrax
Seite in einem hohen, kuppelförmigen Gebäude, das mich an Technos
und Zukunftsvisionen erinnerte. Einerseits. Andererseits hatte die
weitläufige Halle erschreckende Ähnlichkeit mit einem Gerichtssaal!
Ich wurde unsanft auf eine Bank gezwängt, auf
der mir vertraute Menschen saßen.
„Stephanie Seidel! Uschi Zietsch! Claudia
Kern!“
Auf der anderen Seite saßen einige Männer, die
mir auch bekannt vorkamen. Vor allem Christian Schwarz erkannte ich
sofort. Der sonst so fröhlich wirkende Mann sah gequält aus.
„Aha! Autorenkonferenz!“, schlussfolgerte ich
messerscharf.
„Halt bloß die Klappe“, zischte Claudia.
Maddrax verpasste mir derweil einen Klaps auf
den Hinterkopf.
„Ruhe im Gerichtssaal!“
„I geb’s dir glei mit deiner Ruhe!“, hörte ich
eine altvertraute Stimme. Von einem Mann, der üblicherweise so
ausgeglichen war, dass ich ihm diesen Wutanfall gar nicht zutraute.
„Was glaubt’s ihr eigentlich, was ich noch alles zu arbeiten hab’!
Abgabetermine! Und dann die Familie!“
Michael Marcus Thurner.
In schlichter Hose und dem unverwüstlichen T-Shirt.
Besser als mein Snoopy-Outfit.
„Was ist hier überhaupt los?“, fragte ich und
erhielt wieder einen Klaps, dieses Mal von Uschi Zietsch, meiner
Schreibwerkstättenlehrerin.
„Was? Hab ich wieder mal ein Komma vergessen?“
Uschi verdrehte die Augen. „Du machst’s unsere
Lage halt net besser, Kleines, gäh?“
„Es ist eh alles zu spät“, unkte Claudia Kern.
„Horrorfilme lieben ist eine Sache. Aber in einen hineingeraten ...“
Sie zupfte an ihrem Buffy T-Shirt herum.
Ich nahm erst jetzt auch die anderen exotischen
Personen wahr, die uns umgaben. Da waren Rulfan, Aruula und eine
Frau mit einer weißen Perücke: Lady Warrington, eine Techno, die
sich mit Sir Leonard Gabriel, Rulfans Vater, überworfen hatte.
Die fette Warrington saß an einem
provisorischen Richtertisch und hämmerte mit einem Hammer auf das
Holz ein.
Hinter uns saßen unzählige weitere Gestalten,
die ich staunend betrachtete. Sie alle stammten aus dem
MX-Universum. Da waren Menschen, aber auch Taratzen, Hydriten und
Unsterbliche. Victorius und eine Fraktion in weißen Perücken sahen
besonders erbost aus.
Ich bin wohl überarbeitet. Ich brauche
Urlaub. Hochzeit, Erotikromanplanung, Sternenfaust, Maddrax und das
nach dem gerade erst abgeschlossenem Band für Elfenzeit...
Noch immer verstand ich nicht, was ich an
diesem Ort sollte.
Maddrax ging vor dem Richtertisch auf und ab.
„Ihr alle, die ihr hier sitzt“, er wies auf die MX-Autoren, die auf
den Bänken links und rechts versammelt waren, „ihr alle seid
verantwortlich für die Misere, in die ich jeden verdammten Tag
gerate! Für die Demütigungen! Für das ständige Bangen um mein Leben!
Für all die Strapazen und das Elend, das ich Tag für Tag in dieser
postapokalyptischen Hölle erleben muss!“
„Ups“, entfuhr es mir. So langsam kam mir ein
Verdacht, worum es Maddrax gehen könnte.
Aruula mischt sich nun ebenfalls ein. „Den Tod
unseres Sohnes nicht zu vergessen!“
„Exakt!“, stimmte Maddrax zu. „Durch eine von
euch Schlaumeiern unentdeckte Raum-Zeit-Falte, konnten wir in eine
Paralleldimension gelangen und euch ausspionieren. Schon lange kam
uns der Verdacht, dass etwas in unserem Leben nicht mit rechten
Dingen zugeht! Niemand gerät so oft in Gefahr und muss so viel Leid
ertragen. Ihr seid die Schuldigen. Die Autoren. Die Vernichter
unserer friedlichen Existenz auf einem schönen Planeten!“
Der Gerichtssaal begann zu toben. Irgendetwas
wurde mir von hinten an den Kopf geworfen. Ich glaube, es war eine
rosafarbene Perücke.
Die Warrington schlug mit ihrem Hammer auf den
Tisch. „Ruhe! Wir haben einen Neuankömmling! Fahren wir also mit den
Verurteilungen fort! Michelle Stern! Aufstehen!“
„Sind wir jetzt beim Bund?“, zischte ich Uschi
zu.
„Mach, was die Tonne sagt, sonst wird sie
ungemütlich!“
Ich stand eilig auf und trat an den
Richtertisch.
„Sie sind Michelle Stern. Richtig?“
„Richtig.“
„Geburtsname Rafflenbeul, seit dem 18 Juli 2009
Jahnke.“
„Richtig.“
„Sagen Sie einfach „Ja“ oder „Nein“. Sie wurden
in Frankfurt am Main geboren?“
„Ja.“
„Studium? Diverse Nebenjobs?
Tätigkeiten als Dozentin an einer Lernwerkstatt? Ein Preis
für fingierte Goethe-Briefe, ein zweiter Platz beim
William-Voltz-Award?“
„Ja.“
„Schriftstellerin!“ Es klang wie ein
Todesurteil.
„Äh... Jaaa... Und?“
„Sie haben die anwesenden Personen immer wieder
auf sadistische Art und Weise in Gefahr gebracht und sie gequält?“
„Moment ...“
„Ja oder nein?“
„Nein! Na ja ... Vielleicht ein bisschen. Leser
mögen eben spannende Geschichten. Es interessiert doch keinen, wenn
alle sich nur freuen und sich lieb haben. Der Motor der Handlung ist
der Konflikt!“
Erneut brach Gemurmel im Gerichtssaal aus, das
rasch in heftige Empörung umschlug. Dieses Mal flogen Stühle, die
mich aufgrund meiner geringen Körpergröße knapp verfehlten.
„Das reicht!“ Die Warrington schlug mit dem
Hammer heftig auf den Tisch. „Todesurteil!“
„Todesurteil?“ Ich wurde blass. „Das haben sie
selbst in Hessen abgeschafft!“
„Aber nicht in unserer Welt! Und jetzt setzen;
wir vollziehen nachher alle Urteile zusammen.“
Jubel brach im Gerichtssaal aus. Ich verstand
langsam, warum die anderen Autoren so miese Laune hatten und selbst
Aruulas pralle Brüste niemanden ablenkten oder aufheiterten.
Während eine weitere Person in den Raum gezerrt
wurde, ließ ich mein Leben Revue passieren. Ich hatte immer
schreiben wollen. Von meinen Figuren fühlte ich mich verstanden. Und
nun saßen diese undankbaren Säcke vor mir, die ich und meine
Mitstreiter berühmt gemacht hatten, und meckerten herum, nur weil
ich ihre Familienangehörigen getötet hatte und ihnen hin und wieder
Körperteile verstümmelte! Eigentlich hatte ich das nicht einmal
selbst getan, ich war lediglich Hilfsarbeiterin.
Ich sah zu, wie sie Mike Schönenbröcher den
Prozess machten. Er war wohl der letzte der Reihe, die man durch den
Zeiten- und Dimensionsstrahl geholt hatte. Die Anklagebänke waren
voll geworden.
Maddrax hielt eine flammende Rede – wer hatte
sie wohl dieses Mal für ihn geschrieben? Konnte er wirklich
selbst denken? – und sah uns alle hasserfüllt an.
„So beschließe ich, Matthew Drax, dass ihr alle
noch am heutigen Tage hingerichtet werdet! Dieser Spuk muss ein Ende
haben! Ich will mein Leben zurück!“
Nur wenige Minuten später standen wir alle vor
der Kuppel der Technos. LP-Gewehre und Driller waren auf uns
gerichtet.
Hätte ich doch bloß getan, was meine Familie
mir damals riet, und etwas Richtiges gelernt. Aber mit diesem Ende
habe ich nun wirklich nicht rechnen können!
Ich schloss die
Augen. Zumindest würde es schnell gehen.
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